Thitz (2000/2008)

“Welttütenkonferenz”, so betitelt Thitz eine großformatige Arbeit aus dem Jahr 1997. Nicht nur der Titel sondern auch die Ausführung dieses Werks ist mehr als ungewöhnlich und macht neugierig. Thitz hat hierzu zahlreiche handelsübliche Papiertüten in Form einer Collage auf Leinwand aufgebracht  und anschließend übermalt.
Der Vergleich zwischen Übermalung, ursprünglicher Bestimmung sowie aufgedrucktem Werbeslogan der Tüten zeigt sehr schnell, dass Thitz in dieser, wie auch seinen übrigen Arbeiten einen differenzierten Dialog mit seinem Malgrund sucht.
Am auffälligsten ist  in der besagten Arbeit die blaue Tragetasche des Metropolitan Museums of Art in New York, welche die rechte untere Ecke der Komposition flankiert. Einige wenige Kunstfiguren haben hierauf die weißen Buchstaben bevölkert und scheinen mit ihnen zu spielen. Andere Tüten dieses Bildes sind nahezu gänzlich übermalt. So verrät nur noch die Aufschrift “Der längste Genuß”, daß eine der Tüten ursprünglich  für den sorgfältigen Transport eines Baguettes bestimmt war.
Es sei dahin gestellt, ob die Legende zutrifft, dass Thitz anlässlich einer Reise nach Indien auf dieses Material aufmerksam wurde, als “Rettung des Malers vor der drohenden Leere ohne Maluntergrund arbeitslos, verloren und verkauft zu sein”, wie Helmut Schuster gerne erzählt. Wie auch immer, die Tüte fordert den Künstler zu einem intensiven Dialog heraus. Die äußere Form wie auch ihre eigentliche Bestimmung wird dabei unmittelbar aufgegriffen und kreativ in den künstlerischen Gestaltungsprozess integriert. Die ursprüngliche Botschaft der einzelnen Trageobjekte wird dabei – mal mehr, mal weniger – negiert, selten jedoch bis zur Unkenntlichkeit ausgelöscht. Meist ironisch witzig antwortet der Künstler den Werbeslogans und Formen und überlagert sie mit seiner sehr persönlichen Antwort. Die Tüte ist damit für Thitz Malgrund und Inspirationsquelle zugleich. Die Bildsprache derer er sich bedient bleibt allgemein verständlich und verlangt nicht nach einer ikonographischen Entschlüsselung. Sie kommt damit der internationalen Zeichensprache nahe, die uns Menschen des ausgehenden Jahrhunderts miteinander vernetzt. Insofern sind diese Bilder auch ein Zeugnis unserer kulturellen Vielsprachigkeit, die für Thitz ein Fundament seiner Lebensauffassung darstellt.
In gleicher Weise, in der Thitz diese großen Collagen angeht, entstehen auch Serien aus Einzeltüten, wie beispielsweise die beeindruckende „Berliner Tüten Serie“. Hier spielt Thitz mit den großen sozialen und gesellschaftlichen Themen unserer Tage, wie in den Arbeiten „White Berlin“ oder auch „L´afrique c´est jaune“. Thitz zeigt hier einmal mehr die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft und präsentiert sie uns als eine lebendige Bereicherung des Lebens.
Diese Einzelarbeiten bereiten die großen Städtebilder vor, bilden geradezu die Zellen, aus denen sich schließlich die großformatigen Collagen über  New York, Johannisburg oder Berlin zusammensetzen. Auch in diesen Bildern arbeitet Thitz nach dem gleichen Prinzip: zarte Linien stehen neben großzügigen Flächen und umkreisen den zu beschreibenden Gegenstand: ein dichtes Gefüge aus Architekturen und Straßenschluchten, die sich im nebulösen des Horizontes verlieren.
Aber dem Künstler geht es nicht um ein oberflächliches, topographisches Interesse. Die Wolkenkratzer und Häuser sind bewohnt. Aus ihren Fenstern blicken Menschen: Schwarze, Weiße, Kinder und Erwachsene. Sie – das Mädchen von „White Berlin“ oder auch die Dame aus  „L´afrique c´est jaune“, sie alle leben in dieser Stadt und sind Teil eines großen und bunten Ganzen. Der Künstler erschafft “Weltbilder”, in denen er unsere Wirklichkeit in seiner sehr persönliche Kunstsprache spiegelt. Die Sprache mit der Thitz uns in die Welt entführt, macht es uns leicht ihm zu folgen. Umso schockierter aber entdecken wir inmitten der farbenfrohen Bilder immer wieder auch Brüche, die uns aufhorchen lassen.
Thitz‘s „Weltbilder“ erscheinen mir heute als eine konsequente und aktuelle Weiterführung der Welt- und Systembilder von A.R. Penck. Dessen Welt, geprägt von der zerrissenen Situation nach dem Krieg, wird abgelöst von einem Bild der vitalen Globalisierung der Welt, deren Farbigkeit besticht, ohne dass sie den Blick auf den Einzelnen und sein Schicksal ausschließt. Thitz‘s Bilder sind damit auch eine Hommage an ein neues Jahrhundert, und sie verkörpern vehement den Glauben an eine gemeinsame Zukunft. Dabei verschließen sie sich nicht den traurigen Gesichtern, denen man immer wieder in den großen Städtebildern in die Augen sieht. Manche mögen sie ein wenig an die stummen Gesichter aus dem Kosmos des Adolf Wölffli erinnern, dessen regungslosen Gestalten ihrem Betrachter stets die Frage stellen, wer hier eigentlich der Betroffene ist.
Dennoch, was den Arbeiten von Thitz zutiefst eigen ist, ihr Wesen von Grund auf bestimmt, ist ihre optimistische Weltsicht. Die Bejahung der Realität und die sich hieraus entwickelnde Möglichkeit, auch die Zwischentöne des Lebens zu erkennen: dies ist das Besondere und Zukunftsweisende der Thitzschen Welt. Jenes unmittelbar sich mitteilende positive Element darf nicht mit einem kritiklosen Positivismus gleichgesetzt werden. Thitz‘s Weltsicht ist vielmehr entscheidend geprägt durch eine kritisch-intellektuelle Sicht auf die eigene europäische Kultur und ihre Tradition, die gleichsam von den zusammengetragenen Tüten gespiegelt wird. Es versteht sich von selbst, dass die zahlreichen langen und intensiven Reisen den Künstler nachhaltig geprägt haben. Aufenthalte in Indien oder auch Mexiko haben ihm jene Gelassenheit geschenkt, mit seiner eigenen europäischen Tradition kritisch und frei umzugehen. Aus dieser Frische heraus, sind seine Bilder in der Lage Fragen zu stellen und Denkanstöße zu geben, ohne den pädagogischen Zeigefinger zu erheben. Liest man die Bilder mit der geforderten Ernsthaftigkeit, sieht man in eine Welt voller Widersprüche, man blickt in die traurigen Augen eines einsamen Menschen oder in die leere Betriebsamkeit einer Stadt. Gleichzeitig aber schafft Thitz mit seinem witzigen, ironischen Unterton eine Distanz und belässt die Entscheidung über eine mögliche Betroffenheit dem Betrachter selbst.
Und so weicht der erste, meist unruhige Gesamteindruck der Bilder, nicht zuletzt hervorgerufen durch die Verwendung heller und greller Farben, einem stillen, ja bisweilen melancholischen Erkennen.
Es entspricht dem konsequenten Denken des Künstlers, sich nicht nur im Medium der Malerei auszudrücken. Läßt man sich einmal auf den Künstler ein, umgibt uns die “Thitz-Welt”  völlig, und wir sind eines konzeptionellen Gesamtentwurf. Der Künstler ist dabei seinen eigenen Kosmos zu erschaffen. Es entstehen, neben den genannten bemalten Papierarbeiten allerlei Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Mit großer kreativer Kraft gestaltet er zum Beispiel eine alte runde Dose, die einst rote Schuhcreme vor dem Austrocknen schützte. Neben der handelsüblichen Aufschrift „Kavalier“ schmücken heute die beiden unterschiedlichen Schuhe des Künstlers den Deckel und machen die Dose zu einem sehr persönlichen Objekt. Öffnet man sie, so blickt man auf einen Herren mit Hut und Stock sowie der Inschrift „Beautiful but unhappy“. Bedeutet äußere Schönheit vielleicht doch nicht alles, so mag Thitz uns fragen?
Es ist der Blick auf das Detail,  der hier perfektioniert wird und der den Künstler  auszeichnet. Thitz‘s Eingreifen in unsere Alltagswelt muss als Gesamtkonzept verstanden werden. Kein Gegenstand ist ihm dabei zu banal oder zu unscheinbar und nichts entgeht seinem kreativen Schaffensdrang. Er gestaltet Tische, Lampen oder auch schon einmal den typischen, mehrstöckigen Blumentisch der 50er Jahre. Er dreht seine eigenen Filme, die in einem eigens umgebauten „halbautomatischen“ Tisch mit versenkbarem Monitor abgespielt werden, oder es entstehen die großen Tütenhäuser, die begehbar sind und damit eine äußere Hülle für Thitz‘s eigene Welt darstellen.
Auch die Fahrt mit seinem geräumigen Wagen wird so zum künstlerischen Erlebnis. Man entdeckt Reiseerinnerungen hierin ebenso, wie die eigenen Zeichnungen, die das Auto friesartig umziehen,  der zu einer Weltkugel umgewandelte Stern, in dessen Zentrum nun eine kleine Thitz-Figur baumelt oder auch das Efeu, das ironisch die Wohnzimmeratmosphäre des Nachkriegskäfers persifliert.
Nur inmitten des gesamten Thitz-Kosmos begreift man den umfassenden Anspruch des Künstlers vollständig. Bei all dem ist die Welt von Thitz eine bunte, farbenfrohe und fröhliche Welt. Sie zu betreten macht Freude, erleichtert und macht frei für einen neuen Blick, nicht zuletzt auf die Zwischentöne und Randbereiche unserer Wirklichkeit. Sie geht über die subjektive Erfahrung hinaus und schafft Chiffren von unserer Wirklichkeit.
Damit greift die Thitz-Welt endgültig ein in unser Leben, nimmt von uns und unserer Wahrnehmung Besitz und schenkt uns einen ganz neuen, vitalen und sensiblen Blick auf unsere Realität.
Thitz‘s Witz und Ironie erleichtert uns an ein künstlerisches Konzept zu glauben, das längst totgesagt schien.
Stephan Mann, Beitrag zum Ausstellungskatalog

 


Vom 12.3. bis 30.4. 2000 waren Werke von Thitz bereits mit der Ausstellung Thitz-Tüten hier im Museum Goch in einer Einzelausstellung zu sehen.


Als ein Mitglied der Künstlergruppe „Könige der Herzen“ war Thomas Baumgärtel bereits in einer Ausstellung im Museum Goch vertreten.

www.thitz.de

 

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